Freies Spielen im Kindergartenalter

 - Teil 1 -

Heute möchte ich Dir erzählen, warum es für die Kinder so wichtig ist, zum Lernen und Spielen zurück zu kommen. Und warum das besonders im Kindergartenalter der Schlüssel für den Aufbau von Konzentration, Kreativität und Neugier ist. Fähigkeiten, die sie während der Schulzeit und im Leben brauchen. 

1.  Warum sollten wir langfristig zurück zum einfachen Spielen?

Spielen bedeutet selbst zu erfahren, selbst zu erleben, selbst zu entdecken und im Handeln und Ausprobieren Erfahrungen zu schaffen, die sich langfristig positiv auf die Entwicklung und die Einstellung zum Lernen auswirken.

2.  Was hat die Hand dem Gehirn voraus?

Unsere Gesellschaft hat sich stark hin zu einem kopfgesteuerten Arbeitsalltag entwickelt. Es gibt immer mehr denkende Arbeitsplätze, viele Arbeitsschritte des Handwerks wurden Technologie gestützt ersetzt oder reduziert.

Doch auch wenn viele Fähigkeiten der Arbeitswelt im Denken, Entscheiden und irgendwie unsichtbar im Kopf passieren, so werden entscheidende Vorläuferfähigkeiten, die Grundlagen für dieses Arbeiten weit früher und weit weniger kopfgesteuert entwickelt und ausgebildet. 

Denn die Grundlage für problemorientiertes Handelnfür ein immer mehr vorausgesetztes kreatives Herangehen und Umgehen mit Herausforderungen wird in der Kindheit im Spielen und Gebrauchen der Hände gelegt.

Für Dr. Maria Montessori ist das eigene Erleben und das eigene Handeln ein fest verankerter Grundsatz ihrer Pädagogik.

Ein mehr und mehr kopfgesteuertes Handeln bedeutet auch, dass wir immer weniger selbst machen und immer weniger mit unseren Händen erschaffen. Wir leben quasi mehr und mehr aus zweiter Hand.

So ist es nicht verwunderlich, dass es ein nicht zu übersehendes Comeback der Handarbeit gab/gibt. Denn geht es uns Erwachsenen nicht auch so? Wollen wir nicht auch etwas selbst schaffen, formen und in den Händen halten?

Ich durfte schon als Kind sehr viel HANDarbeiten. Mit meiner Oma, mit meiner Mama und dann sehr viel selbst entdecken und lernen. So habe ich schon früh gelernt, dass Übung bewirkt eine Technik immer besser zu beherrschen. Dass es sich lohnt immer weiter zu machen, aus Fehlern zu lernen und das Gefühl gewinnt, es irgendwann genauso gut zu können wie die Oma oder die Mama, die Jahrzehnte Vorsprung haben.

So habe ich auch Respekt vor der Erfahrung und dem Alter entwickelt und ich erinnere mich noch lebhaft daran, wie ich meine Oma beim Häkeln bewundernd beobachtet habe. Staunend sah ich zu,  wie sie schnell und flink Masche um Masche zauberte. So wächst sie, die Achtung vor dem Geschick und der Leistung erfahrener Menschen und Kinder lernen zu ihnen aufzuschauen und genau zuzuschauen, weil man so unglaublich viel von ihnen lernen kann.

3.  Warum sollten wir nicht so schnell Abstrahieren?

Welche Erinnerungen hast Du an die ersten Wochen in der Schule? Was wir sicherlich alle mit der Einschulung verbinden, ist das Rechnen und Lesen lernen. Mit Stift und Papier. Mit Stift und Papier zu arbeiten bedeutet aber auch, dass schon ein erster großer Schritt gegangen wird: wir müssen Abstrahieren.

Dies passiert für viele Kinder viel zu schnell und viel zu früh.

Denn erst wenn Vorläuferfähigkeiten ausgebildet und verankert sind können Kinder den Schritt zum Abstrahieren gehen. Dahinter steht im Bereich des Rechnens zum Beispiel eine Vorstellung von Mengen zu haben. Also dass hinter der Zahl 2 – zwei Objekte stehen. Umgekehrt gedacht, ist es hilfreich eine Menge von Objekten quasi durch einen Blick zu erfassen und die Anzahl benennen zu können. Beides ist wichtig, damit der Schritt zum Rechnen gelingen und das, was wir als Rechnung aufschreiben verstanden werden kann.

4.  Kann man beim Spielen lernen?

Für Kinder ist spielen lernen. Sie erleben sich, probieren aus und erkunden und erforschen die Welt. Sie lernen durch Erfahrung, saugen alles um sie herum auf und erlernen zum Beispiel die Sprache mit einer Leichtigkeit und Geschwindigkeit bei der wir Erwachsenen nur anerkennend unseren Hut ziehen können. Gerade der Altersbereich vor der Einschulung öffnet die Chance für vielfältige Entwicklungen.

Man könnte auch sagen, Lernen kommt vom Tun. Dahinter verbirgt sich auch das Sprichwort: Übung macht den Meister. Und so gibt es nichts wertvolleres, als Kinder einzuladen, sich auszuprobieren und Neues zu erleben und dabei mit Leichtigkeit zu lernen.

5.  Was hat Spielen mit Stress zu tun?

Eine weitere sehr wichtige Erfahrung ist für Kinder das Spielen in einer sozialen Gruppe. Denn auch in Spielsituationen in denen gekämpft und gestritten, erobert und sich gekümmert und sich vertragen wird, werden im Gehirn ähnliche neurochemische Prozesse ausgelöst wie bei Stress. Heißt das nun, dass man Kinder möglichst vor dem freien Spielen bewahren sollte, um Stress zu vermeiden?

Nein. Denn das Gegenteil ist der Fall. In diesen Situationen, die sich wie Stress anfühlen lernen Kinder mit Stresssituationen umzugehen. Sie lernen Stress zu regulieren.

Insgesamt ist es wichtig, die Wünsche und Interessen der Kinder auf Augenhöhe anzunehmen und zu respektieren und zu fördern. Denn so erleben Kinder eine positive Rückmeldung und bauen Vertrauen zu ihren eigenen Wünschen und Interessen auf. Wir können Kindern gar nicht genug Raum zum Spielen ohne Vorgaben und Erfahrung gestütztem Entdecken geben.

EXKURS: internale Kontrollüberzeugung  

Warum ist eine internale Kontrollüberzeugung (für uns und) unsere Kinder so wichtig?

Kinder bauen durch das selbständige Ausprobieren und Erleben eine internale Kontrollüberzeugung auf. Menschen mit internaler Kontrollüberzeugung glauben, dass sie die Fähigkeit besitzen, ihr Leben und ihre Erfahrungen steuern und beeinflussen können.

Umgekehrt haben Menschen mit externaler Kontrollüberzeugung das Gefühl, ihr Leben und ihre Erlebnisse nicht steuern zu können. Erschreckender Weise zeigen aktuelle Studien, dass heutige Generationen mehr und mehr zu der Gruppe gehören, die nicht glauben Einfluss auf ihr Leben zu haben (externale Kontrollüberzeugung).

Möchtest du etwas ausprobieren?

Reflektiere deine eigenen Erfahrungen aus deiner Kindheit und Schulzeit. Was und wie hast du gerne oder leicht gelernt. Wann weniger leicht. Schaue auch auf dein Hier und Jetzt und frage DICH, was du gerne machst.

Schaue heute bewusst auf dein Kind und beobachte was es gerne macht. Beobachte es beim TUN.

Bleibt neugierig!

Eure Stefanie

"Lasst Kinder spielen, spielen, spielen."                                                           

Stefanie

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Quellen des Beitrags:

Maria Montessori, Paul Oswald (Hrsg.) (2019): „Das Kreative Kind. Erziehung ohne Zwang“.

Maria Montessori (2019): „Kinder sind anders“.

Jessica Alexander, Iben Sandahl et al. (2017): „Warum dänische Kinder glücklicher und ausgeglichener sind: Die Erziehungsgeheimnisse des glücklichsten Volks der Welt“.